Leise rattern die Fenster als eine weitere Windböe vom gelben Meer an unseren kleinen Pavillon wackelt. Es ist Mittagszeit und wir sitzen hier in diesen kleinen Raum, den die Sonne durch die vielen Fenster gemütlich warm aufheizt. Draußen war es stürmisch und kalt. Der Frühling hält sich noch zaghaft zurück im nördlichen China. Inzwischen sind es immerhin schon 16 Grad tagsüber und im Gegensatz zu Nordeuropa ist es im Frühling trocken, doch die jetzigen Windverhältnisse erlauben es nicht ohne lange Unterwäsche das Hotelzimmer zu verlassen, um an den fantastischen Granitwänden zu klettern. Leise klappernd die 6 Würfel auf dem Tisch. Ich nehme die 2 Zweier und würfle noch einmal. Chris schaut mich fragend an, weil wir gerade in der Einführungsrunde des deutschen Würfelspiels sind und sie noch nicht meine Taktik durchblickt hat. Die Hände schmerzen heute sehr von den letzten Tagen, die wir ausschließlich mit Rissklettern verbracht haben. Gestern hat der “Sachsenriss“, ein 90m langer Schulterriss, einiges an Energie gekostet. Die Erstbegehung hat uns schlappe 9 Stunden gekostet, nicht wegen der Materiallogistik oder dem Einrichten von Sicherungs- und Abseilständen. Nein. Es war schwerstes Risshandwerk, was besonders gut an Orten wie Yosemite oder in Sachsen erlernt werden kann. Heute ruhen wir uns aus und holen das Studieren von chinesisch nach und spielen zur Abwechslung nun auch “Heckmeck“. Kein Tag verging in Qingdao ohne eine Erstbegehung. Der Granitfels in Qingdao bietet oft fantastische Risslinien, die meist gut abzusichern sind, die Wände sind dagegen meist glatt und abweisend.
Vor meinem Abflug nach Qingdao habe ich noch befürchtet, zu wenig Felsen für eine Woche vorzufinden, weil der hiesige Kletterführer ja so dünn ist. Der Grund liegt aber an Mangel an Kletterern die Neurouten einrichten. Die kleine Klettergemeinde in Qingdao war so freundlich, uns genug Bohrhaken für unsere Neurouten zu überlassen. Das Potenzial, das wir hier fanden, ist so gewaltig, dass es einige Tage braucht, um einen groben Überblick über die hiesige Felswelt zu bekommen. Wir haben uns auf die Umgebung unserer Unterkunft beschränkt, in der es genug Granit für einige hundert Neurouten gäbe. Das kalifornisch - sächsische Team hat sich auf das traditionelle Absichern von Routen und die Erschließung von Unten geeinigt. Somit wurden von uns die letzten Tage mehrer Kilo Keile, Friends, die Bohrmaschine und Seile durch die Gegend von Yangkou geschleppt. Unseren größten Sicherungsgeräten, den Big Pro’s, haben wir liebevoll die Namen Bruce, Kyle und Andrew (je nach der Körpergröße unserer Freunde) gegeben. Fred heißt unser riesiger Materialsack, den Chris irgendwie aus Peking mitgeschleppt hat.
Nun kommt endlich das Mittagessen, es ist inzwischen schon halb drei. In Qingdao sind Muscheln sehr beliebt und heute leisten wir uns einen Teller Austern mit Gemüse. Die Muscheln werden meist nur gegart und kommen dann frisch und lecker zum Aufknacken auf den Tisch. Es ist in Qingdao übrigens schwer ein Gericht ohne Fisch zu bekommen. Da wir beide ja eingeschworen auf die westliche Küche sind, besuchten wir eines Abends das einzige deutsche Restaurant in der Innenstadt. Qingdao war übrigens zwischen dem späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert ein deutsches Schutzgebiet. Heute sind nur wenige Spuren aus dieser Zeit zu finden, unter anderem das wohl berühmteste Bier in China: Tsingdao. Die Stadt strahlt trotz des Immobilienwahns des modernen Chinas eine gelassene Gemütlichkeit aus nicht zuletzt aufgrund der sauberen Seeluft und des Bergpanoramas. Wir haben noch einige Tage vor uns, die wir nutzen werden, solange die Hände noch können…


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