t.treufeld am 24.Sep 09, 00:47 im Topic Peking
Es ist Ende September. Peking steht kurz vor dem 60. Nationalfeiertag. Die Stadt ist in Vorbereitung auf die kommenden Feierlichkeiten. Jeden Abend wird die große Militärparade geprobt, Menschenmengen stehen auf dem Tian An Men Platz um zu “schauen“. Der Himmel hat die Farbe eines französischen Milchkaffees angenommen und es ist schwül als wenn es jeden Moment regnen wird. Dass es regnen wird hat auch der Wetterbericht schon für die letzten Tage prophezeit, jedoch hielt sich die braune Suppe erstaunlich lange über Peking und die Pekinger Kletterer haben beschlossen heute nicht nach Baihe zu fahren, wodurch mein großes Projekt heute erst einmal ruhen muss, morgen ist aber auch noch ein Tag! Meine Pläne sind ein bisschen durcheinander geraten und so stehe ich jetzt Auge in Auge mit Mao, wie auch viele Andere, die nichts Besseres zu tun haben.
Heute morgen lief wieder einmal alles wie am Schnürchen. Die chinesische Bahn war wieder pünktlich 6 Uhr am Hauptbahnhof an (die Deutsche Bahn ist in diesem Zeitalter noch nicht angekommen) und ich kroch ausgeruht aus dem Schlafwagen und beschloss, mir erst mal eine Jungenherberge rauszusuchen, alles kein Problem. Einchecken, Frühstück, Zähneputzen und ab zum Himmelspalast, eine der Hauptsehenswürdigkeiten von Peking und auch die Spielwiese für so viele Chinesische Rentner, die hier Tai Chi oder verschiedene Tänze praktizieren sowie andere Frühaufsteher, die sich mit den Füßen eine Art Federball zuspielen. Im Himmelspalast tummelten sich noch wenige Touristen und ich hatte viel Zeit, mir die imposante Szenerie anzuschauen. Alles ist im chinesisch kaiserlichen Stil gebaut: riesige Steinerne Plätze, rechteckige Arrangements verschiedener herrschaftlicher Gebäude und im Zentrum das Hauptgebäude, eine Art Tempel.
Die Idee, das Fahrrad auszuleihen, um damit die Stadt zu erkunden und das Schlendern weniger anstrengend zu machen erweist sich als sehr gut. Ich umrunde die Verbotene Stadt und schaue mich ein bisschen in den Touristenvierteln um, während mein Inneres sich mit dem Projekt beschäftigt und der Tatsache, dass es heute ja offensichtlich doch nicht regnet. Das Projekt – der Gedanke an die Erstbegehung beschäftig mich schon eine ganze Woche, nachdem mir Tian Kong die noch unbestiegene Linie das erste Mal gezeigt hat und ich erfolgreich die erste Seillänge frei durchsteigen konnte.
Sonntag habe ich mich mit Danny verabredet. Er weiß, dass wir heute morgen da raus fahren müssen, das Ding muss heute geknackt werden. Dameimao, die Route die bisher nur im Aid-Stil (mit Verwendung technsischer Hilfsmittel) begangen wurde – heute soll die “große Augenbraue“ endlich fallen. Die zweiten Seillänge ist der Schlüssel, wenn jetzt alles gut läuft, dann ist das Ding in der Tasche. Risstechnik setzt eine gewisse Kaltblütigkeit voraus, einen gleichmäßigen Bewegungsablauf zu beherrschen und dabei auf die selbstgelegten Zwischensicherungen zu vertrauen. In diesem Fall ist der Riss überhängend und vollkommen glatt, doch die Zwischensicherungen sind alle solide. Die Hände klemmten bisher saugend, doch jetzt öffnet sich der Schlund und ich finde kaum noch Halt – fast wäre ich gefallen. Meine Faust verkeilt sich gerade noch rechtzeitig und ich kann erleichtert die letzten Meter bis zum zweiten Stand gehen. Die Zweite Seillänge ist geschafft!
Etwas später berühre ich endlich den Boden wieder. Ich habe auch noch die 3. Seillänge durchstiegen und somit die Route als erster “frei“ gegangen. Zufrieden überlasse ich Danny die Entscheidung, wo wir als nächstes zusammen klettern – nur nicht zu schwer.
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