siguniangshan

Kurz vor dem Sonnenaufgang geht es los. Die Beine sind noch müde, der Atmen dampft in der kalten Morgenluft, Füße stapfen über Grasland. Nach 2 Tagen Eisklettern hat Bruce uns heute einen Pausentag vorgeschlagen. Unser heutiges Ausflugsziel ist die kleinste der vier Schwestern, Daguniang (5025m). Der Startpunkt ist Rilong (~3600m). Mit einsetzendem Sonneschein, inzwischen ist die Temperatur auf 15 Grad in der Sonne geklettert, empfängt uns die gewaltige Bergkulisse von Siguniang Shan (Four Sisters Mountains). Je höher wir kommen, desto stärker merke ich, dass ich nach 3 Tagen nicht ausreichend akklimatisiert bin. Bruce und der Chinese, der uns begleitet sind einfach viel schneller. Ab 4500m geht es nur noch schleppend voran, mir ist schwindelig. Auf etwa 4700m drehe ich um und lass die beiden alleine den Gipfel machen. Erst ab etwa 4800m beginnt die Schneegrenze. Dort gibt auch der Chinese auf und Bruce knipst alleine den Gipfel ab, für ihn als K2 Begeher wohl ein Spaziergang. Ein Ruhetag war das für mich auf jeden Fall nicht. Mit Kopfschmerzen sitze ich im Restaurant und schlürfe meinen Tee und warte auf Bruce und die anderen Jungs.

Ein Paar Tage später, schon einigermaßen akklimatisiert, sitze ich in einer Eishöhle nach der ersten Seillänge von “Dragon Breath“, die wohl bekannteste Route in Shuangqiaogou, eines der Seitentäler der Sigunian Berge. Die Route erweist sich als technisch und moralisch härteste Route die wir hier bisher geklettert haben. Es geht hoch an riesigen freistehenden Zapfen, über Röhreneis und gigantisches Blumenkohleis. Bruce befindet sich gerade im Vorstieg in einem Blumenkohleisfeld direkt über mir. Der berüchtigte Blumenkohl ist durch Tropfen ausgehöhltes Eis, was wie eine Staude nach oben ragt. Manchmal sind diese Stauden recht dünn und brechen bei Belastung einfach zusammen. Der Eiskletterer muss entweder diese Formation zu zertrümmern, oder die Stabilität richtig einschätzen und sich vorsichtig mit dem Eisgerät einhaken.
“ICE!!!“ schreit Bruce von oben. Pulvriger Schnee und Eisstücke rieseln leise wieder nach unten und “SCHWRRR“ kommt ein reserveradgroßes Stück Blumenkohleis an meinem eisigen Schaufenster vorbeigeflogen und zerschellt weiter unten mit Getöse.
Röhreneis ist ebenso heimtückig. Mehrfach mussten wir Routen deswegen abbrechen. Es handelt sich um zapfenförmiges Eis, das durchsichtig aussieht und Hohlräume bildet. Meist zerfällt das Eis klirrend beim ersten Schlag mit der Eisaxt und bietet wenig Halt. Der wackere Eiskletterer kann auch dieses Eis überwinden. Doch leider kann er hier keine Eisschrauben setzen, die ihn vor längeren Stürzen schützen sollen.
Bruce kämpft sich gerade durch dieses Röhreneis und es geht daher nur noch schleppend voran. Es ist verflixt kalt! Einen Moment denke ich noch an meine Shanghaier Freunde, die jetzt in Thailand sind…
Doch dann kommt: “Off belay!“ von oben und ich bereite mich auf eine weitere Seillänge der wohl atmenberaubendsten Eistour vor.

Wir wohnen bei einer Bauerfamilie im Dorf von Shuangqiaogou. Die Familie lebt sehr ärmlich doch besser im Vergleich zu anderen Familien, die teilweise ihre Häuser im Erdbeben verloren haben und in Zelten leben müssen. Der Ort liegt etwa 200km westlich von Chengdu, doch die Fahrzeit mit dem Bus über Schotterpisten betrug stattliche 11 Stunden. Die Direktverbindung über Wolong wurde durch Erdbebenschäden unbefahrbar. Westlich von Chengdu quält der Bus sich über steile Pässe, gesäumt von gewaltigen Bergen, wie dem Mina Gong Ga (7566m), das Land geht langsam in die Hochebene von Tibet über, aus Kühen werden Yaks, der grüne Tee wird zu Buttertee, Ortsnamen, Straßenschilder oder Wegweiser sind sowohl in Han-Schriftzeichen als auch in tibetanisch verfasst und tibetanische Schreine und Tempel ersetzen die traditionell buddhistischen Gebäude. Unsere Gastfamilie ist auch tibetanisch, spricht aber auch Mandarin mit uns Gästen.

An unserem zweiten Rasttag besuchen ich und mein Freund Bruce, der bergsteigende Schotte, den ich schon in Beijing getroffen habe, Changpinggou. Den ganzen Tag wandern wir durch das Tal und genießen die wunderschöne Landschaft. Unter anderem haben wir freie Sicht auf die große Schwester: Siguniang (6250m)
Ich kann neue Kraft tanken für weitere 2 Tage Eisklettern, einige Vorstiege und eine grandiose 6 Seillängetour am letzten Tag bevor wir nach Chengdu abreisen.


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